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Tagung der Hermann-Schroeder-Gesellschaft in Mainz
Am 30./31. Oktober 2009 fand in Mainz die 14. Jahrestagung der Hermann-Schroeder-Gesellschaft statt. Mainz wurde als Tagungsort ausgewählt, weil Schroeder häufig in Mainz zu Gast war: zum einen beim Schott-Verlag, der als Hauptverleger einen Großteil seiner musikalischen Werke veröffentlicht hat, zum anderen beim Südwestfunk, wo er mehrere Aufnahmen eigener Werke dirigierte. 1956 erhielt der in Bernkastel-Kues geborene Komponist in Mainz den Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz.
Die Tagung begann mit einem Gedächtniskonzert zum 25. Todestag von Hermann Schroeder (1904-1984) in der Kirche St. Peter, veranstaltet vom Mainzer Domchor und der Domkantorei St. Martin unter der Leitung von Domkapellmeister Mathias Breitschaft. Unter dem Motto "Jauchzet dem Herrn alle Welt" bot das Konzert einen Querschnitt durch das geistliche Schaffen Schroeders aus dem Zeitraum 1928 bis 1984 und ermöglichte so eine interessante Begegnung mit einem „Klassiker“ der katholischen Kirchenmusik des 20. Jahrhunderts.
Nach Schroeders Verständnis hat Kirchenmusik eine dienende Funktion im Gottesdienst: „Kirchenmusik ist keine selbständige, absolute Musik, sondern steht im Dienste der Liturgie. Musik, die in der Liturgie ihren Platz einnimmt, ist echte Gebrauchsmusik: daher stellt sich für den Komponisten immer wieder die Frage, wieweit er der Eigengesetzlichkeit der Kunst folgen kann, ohne mit den Forderungen der Liturgie in Konflikt zu geraten.“ Schroeder war sich darüber im Klaren, dass Komponieren für die Kirche eine Gratwanderung zwischen Funktionalität und künstlerischem Anspruch ist. In der Kirchenmusik ging es ihm nicht vorrangig um einen konzertanten Anspruch sondern er spürte eine besondere Verantwortung für die Liturgie: „Wenn Kirchenmusik gesungenes Gebet ist, dann ist der Komponist der Vorbeter mit seinen Tönen.“ Es geht in Schroeders geistlicher Chormusik auch nicht um extreme zeitgenössische Kompositionstechniken oder avantgardistische Experimente. Schroeder wusste sehr wohl, dass sich Kirchenmusik an normale Gottesdienstbesucher wendet und nicht an geschulte Hörer eines zeitgenössischen Konzerts. Schroeder knüpfte daher bewusst an die Tradition an und wollte eine behutsame Erneuerung der Kirchenmusik.
Dass Schroeder diesen Anspruch einlöst, bewies das Konzert der Mainzer Domchöre. Das Programm umfasste Chorwerke aus einem Zeitraum von über 50 Jahren und ermöglichte so, den Weg des bedeutenden katholischen Kirchenkomponisten im 20. Jahrhundert nachzuvollziehen. Die frühe Motette „Siehe die Jungfrau wird empfangen“ (1928) zeigt Schroeder bereits als einen Meister des subtilen Ausdrucks, der an die Polyphonie des 16. Jahrhunderts anknüpft, aber auch schon eigene Akzente setzt durch eine ausdrucksstarke und von tiefem religiösen Verständnis geprägte Textausdeutung. So zum Beispiel bei der Stelle „Und sein Name wird heißen: Emmanuel“, wenn sich der Satz vom Einklang zur Fünfstimmigkeit weitet und sozusagen „explodiert“ und einen Tonraum von zweieinhalb Oktaven umspannt. Die Harmonik schreitet dabei von Fis nach d-Moll, ein musikalischer Effekt, dem sich der Hörer kaum entziehen kann. Auch die frühe Motette „Beim letzten Abendmahle“ (1932) zeigt Schroeders Gespür für die emotionale Stimmung der liturgischen Situation: mit einem zarten Duett beginnend entfaltet die Motette einen introvertierten Klagegesang, der sich sensibel in die tieftraurige Stimmung der Gründonnerstagsliturgie einfügt. Großartig auch die Motette „In stiller Nacht“ (1930) nach Friedrich von Spee, in der Schroeder die Textstrophen (in Abweichung zur bekannten Brahms-Motette und zur Fassung in GL 824) so auswählt, dass sie sich eindeutig auf das Geschehen am Gründonnerstag und auf die Gefühle Jesu im Garten Gethsemane am Ölberg beziehen. In ungemein dichter polyphoner Gestaltung und farbenreicher Harmonik gelingt Schroeder eine ergreifende musikalische Ausdeutung des Textes. So zum Beispiel bei der Textstelle „Der schöne Mond will untergehn, vor Leid nicht mehr mag scheinen“, wo die Harmonik von Fis-Dur in die weit entfernte Tonart a-Moll wechselt und entrückt, ja „überirdisch“ schön klingt. Prächtige Polyphonie entfaltet die Motette „Jauchzet dem Herrn alle Welt“, die Schroeder 1976 zum 1000jährigen Jubiläum der Regensburger Domspatzen für Georg Ratzinger komponierte.
Aus dem Bereich der Messkomposition erklangen die lateinische „Missa brevis“ (1935) und das „Deutsche Chorordinarium II“ (1974). Das Chorordinarium hat einen besonderen Repertoirewert, da der Geist der polyphonen lateinischen Messe diese zeitgenössische deutsche Messvertonung durchzieht. Schroeder versucht also, Altes und Neues in Einklang zu bringen und die Öffnung des 2. Vatikanischen Konzils für die muttersprachliche Messe mit dem Erbe der lateinischen Polyphonie zu verbinden. Ein interessanter Ansatz; diese Messe sollte öfters im Gottesdienst zu hören sein! Domkapellmeister Mathias Breitschaft gelang mit seinen beiden Chören eine stilistisch angemessene und überzeugende Interpretation, die von der Linearität der Einzelstimme ausgeht, den Spannungskurven der freitonalen Harmonik nachspürt und somit große formale Bögen spannt. Intonationssicher und mit großer Leuchtkraft der Sopranstimmen gelangen künstlerisch eindrucksvolle Interpretationen, wie man sie nur selten erlebt. So wurde deutlich, dass Grenzen zwischen einer für die Liturgie gedachten „Gebrauchsmusik“ und Kunstmusik im Idealfall gar nicht existieren oder zumindest überwunden werden können. Breitschaft erwies sich als profunder Kenner der Musik Schroeders, den er noch aus persönlicher Begegnung kannte, da er 1970 (damals noch mit dem Limburger Domchor) das „Proprium zum Gründonnerstag“ uraufführte, das auch im Gedächtniskonzert noch einmal erklang. Domkantor Karsten Storck ergänzte das Programm auf der Orgel mit einigen Choralvorspiele Schroeders. Ein würdiges Gedächtniskonzert für Hermann Schroeder, dessen besonderes Anliegen eine künstlerisch ansprechend und niveauvoll gestaltete musikalische Liturgie war.
Im Zentrum der Mitgliederversammlung stand der „Internationale Orgelwettbewerb um den Hermann-Schroeder-Preis“, der 2008 zum 5. Mal im Rahmen des „Kultursommers Rheinland-Pfalz“ im Trierer Dom ausgerichtet wurde. Der 1. Preis ging an den Organisten Hans Houtman (Niederlande), der 2. Preis an Dániel Sárosi (Ungarn), der 3. Preis an Giulio Piovani (Italien). Ein Mitschnitt des vom SWR aufgenommenen Finalkonzerts ist auf CD erschienen und bei der Hermann-Schroeder-Gesellschaft e.V., Goethestr. 5, 55270 Zornheim erhältlich. 2011 wird der Schroeder-Orgelwettbewerb wieder in Trier durchgeführt. Die nächste Tagung der Hermann-Schroeder-Gesellschaft findet vom 30. 10 -1.11.2010 in Leipzig statt. Zum kulturellen Rahmenprogramm gehörte eine Besichtigung im Verlag „B. Schott’s Söhne“ am Samstagvormittag sowie eine Aufführung des 2. Klaviertrios op. 40 im Kammermusiksaal des Verlages, ein selten gespieltes Werk aus dem Jahre 1964. Die Ausführenden waren David Johnson (Violine), Robert Thistle (Horn) und Rainer Gepp (Klavier).
Eine kongeniale Ergänzung des Tagungsprogramms bildete die Besichtigung der Chagall-Fenster in der Mainzer Kirche St. Stephan. In einer ungemein lebendigen und aus persönlicher Erinnerung an Marc Chagall getragenen „Meditation zu den Chagall-Fenstern“ wies Monsignore Klaus Mayer auf die beiden tragenden Säulen der sakralen Kunst Marc Chagalls hin: sein Werk steht „im Dienste der Liturgie“ und hat als zentrales Anliegen, das „Mysterium des Glaubens“ zum Ausdruck zu bringen. Ein gemeinsames Ziel also – in der bildenden Kunst Mark Chagalls und in der Kirchenmusik Hermann Schroeders. Rainer Mohrs
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