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Erinnerungen von H. E. Bach

"Wenn Sie nach Fugen suchen, halten Sie sich gefälligst an Bach."
Anlässlich des 100. Geburtstags von Hermann Schroeder führte die Redaktion ALUAN ein Gespräch mit Prof. Hans Elmar Bach, der als Student und Chorsänger den langjährigen Bach-Verein-Dirigenten während der Fünfzigerjahre persönlich kennen gelernt hat.

(erschienen in: "Bach+ Schroeder", Programmheft zum Konzert des Bach-Vereins Köln am 26. März 2004, 13-17; erweiterte Version in: Mitteilungen der Hermann-Schroeder-Gesellschaft, Heft 4 Dezember 2005, S. 47-55 )

Wie stellt sich Hermann Schroeder in Ihrer Erinnerung als Mensch dar?
Er war sehr geradlinig, ging auch auf die Gefahr, mit seinen Ansichten anzuecken, kompromisslos seinen Weg. Er machte sich nichts daraus, wenn man ihn insbesondere im avantgardistischen Tendenzen enorm aufgeschlossenen Köln und seiner Hochschule mitunter als konservativ abstempelte. Im alltäglichen Umgang lernte man ihn auch als durchaus humorvollen, gut gelaunten Mitmenschen mit einer positiven Lebensart kennen. Doch beides hatte seine Grenzen, wenn es um die Behauptung seiner musikalischen Maximen oder auch um Anforderungen an die ihm anvertrauten Studierenden ging.

Wie zeigte er sich als Lehrer?
Es war durchaus riskant, Hermann Schroeder durch mangelnde Leistung zu reizen. Das konnte zum Beispiel geschehen, wenn in der Chorprobe der Hochschule ein-, zwei- oder gar dreimal eine Stimme das gleiche Intervall nicht perfekt intonierte. Doch das dann sich entladende Donnerwetter war ein sanftes Grollen gegenüber mancher Unterrichtsstunde oder, schlimmer noch, Prüfung, wenn man etwa aufgefordert wurde, eine Klavierbegleitung zu einem Volkslied zu improvisieren: "Spielen Sie bitte 'Kein schöner Land in dieser Zeit' in G-Dur!" Man war gerade bis zum ersten Zeilenende gekommen, dann wurde energisch "Weiter in Es-Dur" gefordert, zwei Takte später ein Wechsel nach Fis-Dur und so fort bis zum Ende. Und wenn man das "Umschalten" nicht in Sekundenschnelle zu Wege brachte, brach sich Schroeders ungebremster, barscher Fortissimo-Unmut im Tonus solemnior Bahn: "Wo glauben Sie, dass Sie sich befinden? Ich dachte, wir wären hier in einer Hochschule ...". Es dauerte mitunter geraume Zeit, bis sich Schroeders Temperament wieder abkühlte.
Im Gegenzug war er nicht allzu freigiebig mit Lob. Es war für diejenigen, die sich mit Schroeders Ansprüchen gelegentlich schwer taten, aber immer ein Trost, dass sein Groll nicht bis zur nächsten Unterrichtsstunde, einer Begegnung auf den Fluren oder in der Mensa der Hochschule zu dauern pflegte. Ganz beruhigt aber konnten nur solche ihm unter die Augen treten, die sich ihrer Sache absolut sicher fühlten. Des aufrichtigen Respekts auch derer, die unter ihm "litten", konnte sich Schroeder dennoch wegen seiner von niemandem in Zweifel gezogenen Fachkompetenz und der hinter einer etwas rauen Schale in seinem Wesen verborgenen Gutmütigkeit jederzeit wie nur wenige seiner Kollegen sicher sein.

Aber nicht nur in den theoretischen Fächern konnten sich Studenten für ihren Beruf fit machen. Zumal Schroeder das Fach sehr praxisbezogen vertrat, konnten sie ein fundiertes Handwerk für die Chorleitung erwerben. Ich erinnere mich, dass man von denjenigen Kommilitonen, die einem anderen Lehrer in diesem Fach zugewiesen waren, um die Arbeit mit Schroeder beneidet wurde. Als Kompositionslehrer war er in erster Linie von jenen geschätzt, die sich nicht im Elfenbeinturm der Neuen Musik verschanzen, sondern primär für die lebendige Praxis etwa auch der Schul- und Laienmusik komponieren und sich nicht der "Mode" (Schroeder) des seriellen oder elektronischen Experimentierens anschließen wollten.

Welches spezielle Verhältnis hatte er zu Johann Sebastian Bach?
Sicherlich spielte die Musik Johann Sebastian Bachs für Hermann Schroeder vor allem in den Jahren, in denen er künstlerischer Leiter des Bach-Vereins war, aus nahe liegenden Gründen eine zentrale Rolle. Aber auch im Unterricht kam seine hohe Wertschätzung des Thomaskantors immer wieder zum Vorschein. So ließ er sich, als er einen Studierenden wegen einer nicht ganz geglückten Fugenkomposition abstrafte und der sich mit Hinweis auf eine vergleichbare Fuge von Händel zu rechtfertigen versuchte, in einer seiner für ihn typischen überspitzten Formulierungen zu der (im Eifer nicht ganz gerechten) unwirschen Bemerkung hinreißen: "Lassen Sie die Finger weg von Händel, da finden Sie nirgends eine anständige Fuge. Wenn Sie nach Fugen suchen, halten Sie sich gefälligst an Bach."

Doch es wäre gleichwohl falsch, zu behaupten, dass sich Schroeders Wertschätzung auf Bach konzentriert hätte. Das widerlegen schon seine Konzertprogramme, die ja auch Instrumentalmusik umfassten. Richtig aber ist, dass Schroeder sozusagen Maß an Bach nahm und die Auswahl vor allem der einstudierten geistlichen Werke, ob sie nun von Carissimi, Lully, Mozart, aber auch Strawinsky ("Messe") oder Hindemith (Kantate "Apparebit repentina dies") stammten, seinen Kriterien von einer nicht profanisierten geistlichen Musik, wie er sie bei Bach oder auch den Renaissancemeistern vorfand, standhalten konnten. Auch sei daran erinnert, dass er beim Bach-Verein zwar die Instrumentalmusik des Meisters aus Eisenach pflegte. Dennoch sprechen die vielen Programme, die er dem zeitgenössischen, wenn auch niemals dem so genannten avantgardistischen Schaffen widmete, ihre eigene Sprache. Vielleicht aber hat Schroeder ein unbeabsichtigtes Symbol für seine Bach-Verehrung hinterlassen, wenn er zwei Monate vor seinem Tod in seiner letzten Orgelkomposition, dem "Concerto da chiesa", den Namen B-A-C-H zitiert und das "Crucifixus" aus Bachs h-Moll-Messe alla ciacona" verarbeitet.

Wie verlief eine schroedersche Chorprobe?
Die Proben gestaltete Schroeder in einer sehr sachlichen Atmosphäre, von den zu erarbeitenden schwierigeren Passagen zu den einfacheren fortschreitend. Die Stimmung war gelöst, den Druck, den er gelegentlich im Unterricht ausübte, kannte man zumindest beim Bach-Verein nicht, wo er es trotz vieler mitwirkender Hochschüler auch mit Laien zu tun hatte, die jedoch durchweg über grundlegende Kenntnisse des Blattsingens verfügten. Er selbst dirigierte teils vom Klavier aus, ließ aber auch Hochschüler am Instrument assistieren. Viele orchesterbegleitete Passagen wurden auch sinnvollerweise a cappella einstudiert. Sonderproben gab es selten, allenfalls die auch sonst üblichen Proben mit getrennten Stimmen. Für diese Lektionen zog Schroeder gelegentlich auch fortgeschrittene Studierende heran, denen er zutraute, dass sie eine solche Probe in seinem Sinne leiten könnten.

Wie könnte man das Chorideal Schroeders beschreiben?
Die wiederentdeckte historische Aufführungspraxis steckte damals noch in den Kinderschuhen. Die Besetzung bei Schroeders Konzerten war nach meiner Erinnerung die damals noch allgemein praktizierte. Allerdings achtete Schroeder immer auf schlanken, transparenten Gesamtklang und speziell bei den Chorpartien auf eine niemals die Affekte überzeichnenden oder der Emotionalität ungebührlichen Raum gebende Darstellung, selbst wenn der Text das provoziert hätte. So besaßen seine Aufführungen immer einen Hauch "neuer Sachlichkeit" und unaufgeregte Nüchternheit: absoluter Gegensatz zu der damals noch gern geübten Praxis, etwa "Sind Blitze, sind Donner" aus der bachschen "Matthäus-Passion" mit einem riesigen Fortissimo aus hunderten von Kehlen unter Begleitung des vollen Werks der Gürzenich-Orgel beim "Eröffne den feurigen Abgrund" den Hörern als Naturkatastrophe vor Augen bzw. Ohren zu führen. Effekte dieser Art waren Schroeder genauso wie dem Gürzenichkapellmeister und Hochschulkollegen Günter Wand zuwider, und im Zweifelsfall untertrieb er lieber, als einen dubiosen Akzent zu setzen.

Welchen Ruf genoss der Musiker Hermann Schroeder in Köln?
An der Hochschule und an den musikwissenschaftlichen Instituten der Universitäten Köln und Bonn galt er als außerordentlicher Experte für alles, was mit dem Bereich der traditionellen Musiktheorie zu tun hatte. Selbst ein Komponist wie Karlheinz Stockhausen akzeptierte als Student Schroeders Unterricht und riet sogar später mitunter seinen eigenen Studenten, sich theoretisches Rüstzeug bei Schroeder zu holen. Gleichwohl tat sich bald eine Kluft gegenseitiger künstlerischer Ablehnung zwischen beiden Komponisten auf, die durch keinen Kompromiss überbrückt werden konnte. Seine Dirigententätigkeit sowie seine Kompositionen, vor allem auch die kirchenmusikalischen, fanden in der Öffentlichkeit und Presse durchweg ein sehr positives Echo. Und natürlich gehörte der Bach-Verein unter seiner Leitung zu den führenden Chören Kölns.